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Neuenfelde im Wandel der Zeit

Neuenfelde im Wandel der Zeit

Unserer heute wirtschaftenden und Verantwortung tragenden Generation, die eine unbe-schwerte Friedenszeit erleben darf, gilt es eine Brücke des Verständnisses für diese und des Wissens um die ethnologische Gestaltung unserer Landschaft zu bauen. Nur wer Kenntnis hat über die Zusammenhänge der früheren Besiedlung unserer Heimat kann die Zukunft mitge-stalten und hat die Kraft, sich allen Gegebenheiten der Fortentwicklung anzupassen.

Die Besiedlung dieses Landstriches – nachdem schon früher die Chauken von den Geesträn-dern, sowie die ab 200 unserer Zeitrechnung von Holstein herüberdrängenden Sachsen die fetten Marschen im Sommer zum Weiden des Viehs und zum Fischfang nutzten – erfolgte infolge des Anwachsens der Bevölkerung, nachweisbar ab 300 n. C., auf Wurten, die später mit Ringdeichen zusammengefasst wurden, so dass auch etwas Getreide in deren Schutz angebaut werden konnte.

Unter der Initiative und dem Schutz des Klerus und des Landadels wurde im 10. und 11. Jahrhundert die Errichtung der Deiche mit sachkundigem Einsatz angeworbener Spezialisten und Arbeiter aus Flandern und Holland in Angriff genommen. Wie sich die heimischen Stämme gegen Römer (9 und 15 n. C.), Nordmänner (um 950 n. C.) und auch in den Wirren der Völkerwanderung behauptet hatten, so konnten sie nun auch den Fluten der Elbe trotzen!

Rückschläge blieben indes nicht aus. Häufig verrichteten Fluten ihr Zerstörungswerk, so besonders von 1392 bis 1410, als unser Gebiet so zerstört war, dass nur noch auf einzelnen hochgelegenen Höfen das Überleben möglich war. Doch schon ab 1460 begannen die Menschen, vornehmlich aus den Gebieten der Este, die Neueindeichung in durch Sperr- oder Sietwendedeichen gesicherten Abschnitten.

So stellte sich, das heutige Hasselwerdergebiet als Marschinsel dar. Ursprünglich als Hasle-warther, Insel mit Haselsträuchern, wurde es erstmals in einer Urkunde von 1059 erwähnt. Hasselwerder war, zu dem 1257 neugebildeten Nincop, abgegrenzt durch Gräben und Sperrdeich längs der heutigen Nincoperstraße von Vierzigstücken bis zu einem Hof in Liedenkummer, der zeitweise der Kirche in Estebrügge zugeordnet war und vorübergehend auch unsere Hasselwerder Kirche beherbergt haben soll. Erst gegen 1550 war der letzte Abschnitt, das derzeitige Hohenwisch, eingedeicht worden, wo einströmende Tiden mit abgelagerten Sedimenten hohe Weiden gebildet hatten.

In unserem Marschenland entwickelten sich selbständige Gemeinwesen. Hasselwerder mit seiner chaukisch-sächsischen Volksgruppe im sogenannten Engerschen Recht – nachweisbar seit 1059 – sowie das im sogenannten „Hollerrecht“ gegründete Marschhufendorf Nincop der eingewanderten Siedler aus Flandern und Holland, die auch eine eigene Kirche hatten.

Jahrhunderte gingen so im Nebeneinander ins Land. Ethnologische Rivalitäten verflachten sich durch notwendige Gemeinsamkeiten in der Deichsicherung, dem Wegebau, der Schule, der Krankenversicherung beim Allgemein-Mediziner Dr. Hengesbach, der „Im Leben und Sterben treu vereinten Brüderschaft Neuenfelde“ und der „Privaten Kuhkasse“.

Zwar differenzierte sich die Wirtschaftsstruktur mit den Jahren erheblich. Während Nincop im bäuerlichen verharrte, entwickelte sich Hasselwerder zu einem Gemeinwesen in dem neben der Landwirtschaft Gewerbe, Handel, Schifffahrt und Verkehr stark ausgeprägt waren und Probleme des Fortschritts brachten. Nicht zu verwundern die Ungleichheit steuerlicher Belastung. So erhob Nincop 100-150% Zuschlag zur Einkommensteuer, während Hasselwer-der 300% aufschlug, festgesetzt von örtlichen Kommissionen.

Eine Verschmelzung der Gemeinden zeigte sich als notwendig. Doch Nincop sperrte sich und hat sogar 1907 das gemeinsame Standesamt wieder getrennt. Erst 1928, als Finanzstreitigkei-ten über die Zuwegung zu Verladehäfen die Obstwirtschaft beeinträchtigten, hat eine ernste Eingabe des Gemeindevorstehers Wichern in 1929 eine Regierungsanordnung über die Bildung der Gesamtgemeinde Neuenfelde bewirkt. Nach vorübergehendem Einsatz eines kommissarischen Bürgermeisters, Hermann Jonas aus Stade – als dessen Stellvertreter und als Standesbeamter Bernhard Waller bestellt war – wurde im Sommer 1929 eine neue Gemeinde-vertretung mit dem Bürgermeister Jacob Quast gewählt und bestätigt.

Dieses Gemeinwesen hatte keine lange Lebensdauer. Nachdem es bereits 1935 bei Aufteilung des Kreises Jork dem Kreise Harburg zugeschlagen wurde, verlor es im „Groß-Hamburg-Gesetz“ 1937 seine Selbständigkeit und wurde mit allen Rechten und Pflichten als Hamburger Stadtgebiet aufgesogen. Eine eigene Dienststelle, als Teil einer vorübergehenden Sonderrege-lung für das Landgebiet, blieb bis nach dem 2. Weltkrieg am Leben. Deren Kompetenz wurde schon mit den Jahren abgeflacht und heute sind für unsere Bewohner der 3. Meile Altes Land nur noch die städtischen Ämter in Harburg und Neugraben zuständig. Was aber ist und bleiben wird, ist die Zugehörigkeit zur 3. Meile des Alten Landes.

Das allmähliche Zusammenwachsen der ehemals sich fremden Volksgruppen, geprägt in dem formenden und fordernden Charakter unseres Marschenlandes, lässt heute keine Unterschiede mehr erkennen. Lange Zeit lebten Chauken, Sachsen und Holländer eher neben- als miteinan-der. Durch Sturmfluten, Deichsicherung und Hochzeiten wuchsen die Bevölkerungsgruppen seit Beginn des 15. Jahrhunderts aber immer mehr zu einem Gemeinwesen zusammen. Mögen sich auch jetzt die, ins Land gerufenen, Gastarbeiter mit ihrer fremden Lebensart und Religion auch in unsere von Natur und Umwelt geprägte Gemeinschaft eingliedern.

Quelle: Bernhard Waller